Therapie

Der Morbus Perthes ist eine selbstheilende Erkrankung. Grund für eine Behandlung ist das Risiko einer Verformung des Hüftkopfes und die frühe Entwicklung einer Hüftarthrose.

Die Internationale Perthes Studien-Gruppe (IPSG) schlägt eine Behandlung nach Alter vor (https://perthesdisease.org/treatment-by-age/):

AGE LESS THAN 6 AT ONSET:

treat symptoms (pain, limping, and decrease in hip joint movement) by nonsurgical means like rest, limiting running and jumping activities, anti-inflammatory medicine and crutches/ walker/wheelchair as needed).


AGE 6-8 AT ONSET:

non-operative treatments (similar to less than 6 year old patient and brace) or operative treatments (femoral or pelvic bone surgery) can be used but we do not know which is better at this time.  This is why IPSG is studying the outcomes of patients treated non-operatively and operatively in this age group.


AGE 8-11 AT ONSET:

operative treatment is recommended in severe cases (i.e. most of the femoral head is affected by Perthes). Conventional surgical treatments include femoral bone or pelvic bone surgery).

AGE OVER 11 AT ONSET:

conventional femoral or pelvic bone surgeries are not as effective in this age group compare to the younger patients.  Newer treatments such as multiple drilling of femoral head to create channels for blood vessels to grow back and hip distraction using an external fixator to protect the femoral head are being done in some centers.  IPSG will be comparing the results of these newer procedures.

Daraus lässt sich ableiten, dass bei Kindern unter 6 Jahren eine ärztliche Beobachtung mit regelmäßiger Bildgebung (Sonographie, Röntgen, MRT) und Überwachung durch Krankengymnastik ausreichend sein kann (supervised neglect – Lloyd-Roberts, 1982).

Bei Verschlechterung ist eine strikte konservative Therapie angezeigt, im Prinzip eine Hüftgelenksschonung durch Entlastung des Beins (unloading – Kim, 2012).

Unsere Empfehlungen für den Alltag:

  • In der Wohnung nur Krabbeln oder Benutzung eines Rollbretts (z. B. „Möbelhund“) oder „Krabblers“ (http://shop.stator-ffm.de).
  • Außerhalb der Wohnung Buggy oder Rollstuhl. Für kurze Wegstrecken Benutzung von Unterarmgehstützen unter Entlastung, bestenfalls Kontaktbelastung (2 – 3 kg).
  • Im Rollstuhl Verwendung eines Spreizkeils von ≥ 40° zwischen den Oberschenkeln, der mit einem Klettband auf dem Sitz fixiert werden kann. Alternativ kleiner Spielball, mit einem Netz gehalten.
  • In der Nacht Anlegen eines großen Schaumstoff-Spreizkissens von 70°.
  • Professionelle Physiotherapie, anfänglich 2 x pro Woche. Gangschulung unter Entlastung mit Unterarmgehstützen. Bewegungsübungen unter Traktion zum Erhalt bzw. zur Verbesserung der Hüftabduktion. Diese sollte mindestens 30° betragen, damit die seitlichen Anteile des Hüftkopfes unter der Pfanne bleiben und nicht etwa eingedellt werden (cf. Abb. 4). Es darf sich keine Adduktionskontraktur auf dem Boden eines erhöhten Tonus/ Spasmus der Adduktoren entwickeln. Insofern sind regelmäßige KG-Befundberichte wichtig!
    Zum Verständnis: Wodurch kommt es beim M. Perthes zu einer Einschränkung der Beweglichkeit? Bei ungünstigem Verlauf (Stulberg Klasse IV und V) sicherlich durch die „Umformung der Gelenkanteile“ (Coxitis deformans juvenilis, Perthes, 1910, ). Und in der frühen Phase? Narkoseuntersuchungen im Fragmentationsstadium sprechen dafür, daß Schmerz und Muskelspasmus die Ursache sein dürften (Stanitski, 2007). Dies ist von Bedeutung für die Physiotherapie. Hüftrotation und Hüftbeugung/-streckung bedürfen wahrscheinlich keiner besonderen Aufmerksamkeit. Die Rotation bessert sich, wenn der Reizzustand des Gelenks unter Schonung (und evtl. Containment-OP) nachläßt. Beugung/Streckung hingegen bleiben lange gut erhalten, weil die Scharnierbeweglichkeit (roller-bearing-type joint motion, Catterall) im Alltag ständig genutzt wird.
  • Schwimmen günstig, nach Möglichkeit zweimal pro Woche. Kein Springen vom Sprungbrett!
  • Sinnvoll ist die Kontrolle der Schonung des Hüftgelenkes (bzw. der gebremsten Aktivität des Kindes)mit einem Pedometer oder Aktivitäts-Tracker. Nach Möglichkeit sollte die tägliche Schritt-/Punktzahl bei 3.000 –  5.000 liegen, statt bei 20.000. Die Werte sollten zur Dokumentation notiert werden (Schrittzahlkalender über Informationsmaterial). Die konservative Therapie der Erkrankung durch Hüftgelenksschonung in Form einer konsequenten Entlastung ist in der Vergangenheit kontrovers diskutiert worden. Inzwischen ist die Wirksamkeit der Entlastung tierexperimentell belegt (Kim, 2012).
  • Bei Verschlechterung der Abduktion:
    • Häusliche oder stationäre Extensionsbehandlung mit Gewichten bis ca. 4,5 kg. Zur Vermeidung von Druckstellen an Fußrücken und Ferse hat sich der „Heelift Traction Boot“ bewährt.
    • Spreizgips („Petrie Cast“). Evtl. passive und aktiv-geführte Bewegungssübungen nach Gipsentdeckelung.
  • Medikamentös
    • Wegen eines endemischen Vitamin D-Mangels in Deutschland Gabe von 1 x 1000 IE Vitamin D3 täglich, z.B. 1 Vigantolette 1000. Besser: Bestimmung des Vit. D-Spiegels im Blut über einen Kinderarzt und angepaßte Dosierung, damit der Spiegel rasch auf 40 – 50 ng/ml steigt. Evtl. 3- bis 4-monatliche Spiegelkontrollen. Außerdem: Kalziumreiche Kost (ausreichend Milchprodukte, speziell Hartkäse; Gerolsteiner Mineralwasser – cf. flyer_knochengesunde_ernährung, IOBM, UKE).

Eine konservative Therapiemöglichkeit ist die Extensionsbehandlung. Über eine am Bett montierte Rolle wird mehrere Stunden täglich mit Gewichten am Bein gezogen. Hierdurch wird der kranke Hüftkopf entlastet. Diese Behandlung kommt insbesondere bei schlechter Beweglichkeit vor einer Operation infrage. Catterall: Restore movement before you cut the bone.

Wie aus obigem Schema ersichtlich stehen bei älteren Kindern operative Maßnahmen im Vordergrund.

Dabei handelt es sich um folgende Verfahren:

A. Sog. Containment-Operationen

  1. Hüftnahe Umstellungsosteotomie des Oberschenkels in Varus (proximal varus osteotomy – PFO)
  2. Beckenosteotomie oberhalb der Hüftpfanne nach Salter (innominate osteotomy)
  3. Pfannenschwenk-Osteotomie nach Tönnis (Triple oder Becken-Dreifachosteotomie) bzw. Periazetabuläre Osteotomie nach Ganz (Berner Periazetabuläre Osteotomie – PAO)
  4. Kombinationsverfahren von 1 + 2 oder 1 + 3

B. Mehrfache Epiphysen-Anbohrung (multiple epiphyseal drilling, Aruwajoye, 2018)

C. Passagere Hüftdistraktion mit einem gelenkübergreifenden Fixateur (Arthrodiastase) und nachfolgender Containment-OP, meist PFO

Anmerkung zum Verständnis

Wie ist man auf „Containment-Operationen“ (containment surgery) beim M. Perthes gekommen?  Wer hat die erste proximale Femur-Varus-Osteotomie (PFO) durchgeführt?

Diese orthopädische Standardtherapie basiert auf einer Arbeit in französischer Sprache von Soeur und De Racker, 1952 (zitiert von Coates, Catterall et al., 1990) über 2 Fälle, wovon einer ein gutes Ergebnis zeigte und der andere bei septischem Verlauf nicht auswertbar war. Wegen des anspruchsvollen Textes wurde die Arbeit wahrscheinlich mehr zitiert als gelesen.
Erst Axer (1965) aus Israel hat ausführlicher über günstige Verläufe nach Varisierung berichtet, leider aber auf einer Kombination mit einer Derotation (Außenrotation des distalen Fragments) bestanden, die im Containment-Effekt fragwürdig und mit dem Nachteil eines Auswärtsgangs belastet ist. In älteren Arztbriefen findet sich noch die Bezeichnung „intertrochantere Variations-Derotations-Osteotomie (IVDO)“.
Der Wirkmechanismus der PFO ist im Übrigen nicht genau geklärt. Wie eingangs bereits erwähnt ist das Ergebnis besonders günstig, wenn der Eingriff früh durchgeführt wird, d.h. noch im Stadium Ia/b bzw. spätestens im Stadium IIa und wenn postoperativ für 6 Monate streng entlastet wird (z. B. an Achselstützen – in Indien, Singh et al., 2020).
Wenn sich in der Zukunft mit zunehmender Einsicht in den Pathomechanismus der Erkrankung die Hoffnung auf eine biologisch/osteologische Therapie erfüllen sollte, dürfte sich die Auseinandersetzung mit OP-Verfahren erübrigen.

DER NEUE FALL

Checkliste für die Therapie
  • Beginn der Erkrankung, onset (Zeitpunkt der erste Beschwerden: Hinken, Schmerzen) –> aktuelle Dauer
  • Alter bei Beginn
  • Risikofaktoren für schweren Verlauf: Alter 8-11 und darüber, hoher Bewegungsdrang, geringe Compliance für Entlastung
  • Untersuchungsbefund, Physiotherapie-Befund
  • Bildgebung: Röntgen-BÜ + Lauenstein (mögl. bds.), MRT, Sonographie
  • Ausmaß des Befalls (der Nekrose, der Perfusionsstörung in der MRT), involvement
  • Stadium: Waldenström/ modif. Elizabethtown-Klassifikation
  • Containment: gut, gefährdet, (drohender) Verlust
  • Labor (Vit. D-Spiegel, evtl. osteologisches Basislabor und D-Dimere), selten molekulargenetische Untersuchung

Therapievorschlag:

  1. Beobachtung
  2. Konservative Behandlung oder 
  3. (frühe) operative Behandlung
  4. Begleitend: Vitamin D-Prophylaxe und calciumreiche Ernährung

Röntgenaufnahme des Beckens im Anschluss an eine Beckenosteotomie in der Technik nach Salter. Die helle eckige Struktur oberhalb des linken erkrankten Hüftkopfes ist ein Hydroxylapatit-Keil, der das durchtrennte Becken in Position hält. Ein Bohrdraht sichert die Montage. Es resultiert keine Übungsstabilität, deshalb zusätzlich äußere Ruhigstellung mittels Becken-Bein-Fuß-Gips. Letzteres ist nach Beckenosteotomien in neuerer OP-Technik nicht mehr erforderlich.

Die Nachbehandlung erfolgt in einem Gips für 6 – 7 Wochen, der das Becken und das Bein der betroffenen Seite vollständig sowie das Bein der anderen Seite bis zum Knie umschließt. Er wird in Spreiz- und leichter Beugestellung angelegt, damit der Hüftkopf gut und ohne Druck in der Pfanne zentriert ist. Der Gips wird in aller Regel gut akzeptiert. Das Pflegepersonal instruiert die Familie in der Pflege, so daß die Kinder die meiste Zeit im Gips zuhause verbringen können. Nach 6 Wochen erfolgt die Wiederaufnahme zur Gipsentfernung, Röntgenkontrolle und gelenkmobilisierenden Krankengymnastik. Die Operation verbessert die Aussicht auf ein normales Hüftgelenk, aber der eigentliche Heilungsverlauf wird nicht abgekürzt.  Deshalb Entlastung im Rollstuhl bis in das Regenerationsstadium (bis zum Aufbau des „lateral pillar“, s. o.).

Nach der Operation wird ein Becken-Bein-Fuß-Gips für 6 – 7 Wochen angelegt, damit der Knochen heilt und die Hüfte maximal entlastet wird.  Die Kinder gewöhnen sich schnell an den Gips und können nach einer Woche Krankenhaus zuhause weiter gepflegt werden.

Zur Entfernung des Gipses ist die stationäre Wiederaufnahme erforderlich. Der Gips wird aufgesägt und nach Röntgenkontrolle wird mit der Mobilisation im Rollstuhl begonnen.

Entlastungsschiene?

Entlastungsschienen sind in der konservativen Behandlung des M. Perthes früher sehr beliebt gewesen. Es gab viele Varianten, häufig mit Eigennamen, z. B. die Thomas-Schiene oder Mainzer-Schiene.
Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass sie eher schädlich sind – besonders bei bewegungsfreudigen Kindern. Es kommt zu hohen Muskelreaktionskräften im Gelenk, weil die Schienen schwer sind. Sie wirken beim Gehen wie Fußkugeln bei Sträflingen.
Eine Alternative wäre das Tragen einer Mecron-Schiene, die zwar nicht entlastet, aber ganz leicht ist und durch die Streckstellung im Knie schnelles Gehen und Rennen verhindert. 
Es gibt bisher keine wissenschaftliche Untersuchung für den Nutzen beim M. Perthes, aber die Idee ist gut. Es gibt viel Erfahrung mit der Schiene. Sie hat sich zur Ruhigstellung und Schonung des Kniegelenks bei Erkrankungen und Verletzungen sehr bewährt. Durch die Beeinträchtigung der Fortbewegung wird das Hüftgelenk mit großer Wahrscheinlichkeit auch geschont. Dies könnte wahrscheinlich in wenigen Stunden mit einem Schrittzähler einmal mit und einmal ohne Anlegen der Schiene überprüft werden!

PROBLEM IM KRANKHEITSVERLAUF: Trochanterhochstand – Vorbeugen, behandeln oder ignorieren?

Wir würden zu einer Trochanterapophyseodese bei Metallentfernung raten. Die Arbeitsgruppe um Benjamin Joseph in Manipal, Indien, empfiehlt sogar eine prophylaktische Apophyseodese zum Zeitpunkt der Varus-Osteotomie (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19934705/).
Das Problem bei der späten Trochanterapophyseodese ist, dass sie nicht mehr so wirkungsvoll sein kann. Deshalb gibt es auch kritische Stimmen: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31725028/.
Uns hat sich die Technik nach Langenskiöld bewährt (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/7428207/), die wir modifiziert haben. Sowohl die Fuge wird sehr ausgedehnt ausgeräumt als auch die knorpelige Trochanterspitze – und mit Spongiosa aus dem Markraum aufgefüllt.
Nicht bewährt hat sich uns die Trochanterapophyseodese mit Schrauben, wie sie in Cincinnati von den Schülern von A. Crawford propagiert wird.
Die Schrauben haben zudem den Nachteil, dass bei einer MRT-Nachuntersuchung Metallartefakte entstehen, die eine genaue Beurteilung des knöchernen Wiederaufbaus der Epiphyse erschweren.
Zur Entscheidung pro oder contra Apophyseodese ist es hilfreich, die Röntgenkontrolle vor der Metallentfernung als Beckenübersichtsaufnahme im Stand durchzuführen, evtl. mit Brettchenunterlage von 0,5 – 1 cm zum Ausgleich der OP-bedingten Beinlängendifferenz. Dann kann die Trochanterhöhe zur Gelenklinie bestimmt werden (Abb. 2), die sog. articulo-trochantere Distanz. Bei korrektem Gonadenschutz ist die Strahlenbelastung durch das größere Aufnahmefeld zu vernachlässigen, zumal auf eine Seitaufnahme nach Lauenstein verzichtet werden kann: die Osteotomie wird in seitlicher Projektion vom Implantat überdeckt.

NEUE ASPEKTE IN DER BEHANDLUNG?

Im Prinzip kommt eine medikamentöse Behandlung des M. Perthes mit einem Wirkstoff, der den Knochenabbau hemmt und gleichzeitig den Knochenaufbau fördert, in Betracht. Romosozumab wäre in Kanditat. Dieses Mittel hat aber als Adjuvans bei der Behandlung von osteoporotischen Frakturen (sog. fragility fractures) enttäuscht. Insofern würde man es derzeit nicht für den M. Perthes in Erwägung ziehen wollen. Abaloparatide, ein Parathormon-Analogon fördert den Aufbau und muss bislang täglich gespritzt werden, für Kinder problematisch.

Auch der Einsatz des Knochenabbau-Hemmers Denosumab ist mit Problemen verbunden (besonders den Calcium-Blutspiegel betreffend). Bei einigen seltenen Erkrankungen im Kindesalter (z. B. Osteogenesis imperfecta, Riesenzelltumoren) gibt es in zwischen aber viel Erfahrung.
In Kooperation mit den hiesigen Osteologen haben wir Denosumab erfolgreich bei einem frühen Perthes-Fall eingesetzt und darüber berichtet (https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/17453674.2017.1298020). In Schweden gibt es Überlegungen zu einer Studie.
Ganz aktuell wird eine Anti-Interleukin-6-Therapie diskutiert (Ren et al., 2020, Kuroyanagi et al., 2020, siehe unter Literatur). Dies hängt damit zusammen, dass bei M. Perthes eine Erhöhung des Interleukin-6-Spiegels in der Gelenkflüssigkeit gefunden wurde (Kamiya et al., 2015 – https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25556551/). Als Medikament käme Tocilizumab infrage, das Bedeutung in der Behandlung der rheumatoiden Arthritis erlangt hat. Dies ist aber auch Anlass zu Skepsis: die Erkrankungen unterscheiden sich sehr.