Krankheitsverlauf

Die Perthes-Erkrankung durchläuft wie oben angeführt vier Stadien, die 1922/23 von Waldenström beschrieben worden sind und daher als Waldenström-Stadien bezeichnet werden:

I. Initialstadium mit Verdichtung (Sklerosierung) der Epiphyse und oft mit typischer Fraktur unterhalb des Epiphysendoms, also subchondral gelegen (Waldenström, Caffey)

II. Fragmentation, wave of resorption (Catterall 1982, S. 280),

III. Regeneration, reparation (Jonsäter), reossification

IV. Ausheilungsstadium nach Wachstumsende, definite stage

Vereinfachung von Canale et al. (Elizabethtown, Pennsylvania, USA), 1972:

Stage I (initial stage): Exhibits condensation, compression, and increased density of the epiphysis with an apparent widened joint space

Stage II (fragmentation): An intermediate reparative stage with further shrinkage and fragmentation of the epiphysis

Stage III: The healing phase of the disease with more pronounced fragmentation, but with the appearance of new bone which is maturing

Stage IV: Reossification is completed and one is left with the definitive end-pattern in the shape of the head, with or without residual deformity.

Diese ist Grundlage der aktuellen „Modified Elizabethtown Classification“  mit Untergliederung in Ia/b, IIa/b, IIIa/b, IV von Benjamin Joseph, Manipal, Indien.

Das sind die Stadien, in denen nach Joseph – und nach der IPSG-Studie – operiert werden soll:
– Stadium Ia: Epiphyse ganz oder teilweise sklerotisch. Kein Höhenverlust.
– Stadium Ib: Epiphyse ganz sklerotisch mit Höhenverlust.
– Stadium IIa: Beginnende Fragmentierung der sklerotischen Epiphyse. Ein oder zwei vertikale Fissuren auf der BÜ oder Lauenstein-Aufnahme.

Das Ausmaß der Nekrose der Epiphyse hat Einfluss auf den Schweregrad der Erkrankung. Antony Catterall hat 1971 eine Klassifikation darauf aufgebaut. Die Ausdehnung der Kopfnekrose zum Zeitpunkt der maximalen Fragmentation ist Grundlage der Einteilung in 4 Gruppen. Catterall-Gruppe 1 liegt vor, wenn nur der Dom der Epiphyse beteiligt ist (ca. ¼). Bei Gruppe 2 ist nicht mehr als die Hälfte der Epiphyse betroffen, wobei regelhaft ein großer Sequester zur Darstellung kommt. Bei Gruppe 3 ist etwa ¾ der Epiphyse betroffen. Gruppe 4 liegt vor, wenn die gesamte Femurkopfepiphyse nekrotisch ist. Das Problem der Klassifikation von Catterall ist, dass die genaue Gruppeneinteilung erst spät, also im Fragmentationsstadium, vorgenommen werden kann. Therapieentscheidungen sollten aber früh getroffen werden! Die Zuverlässigkeit der Einteilung ist wiederholt in Frage gestellt worden. Thompsen vertritt die Meinung, daß man in der Praxis meist mit Fällen der Catterall-Gruppe 3 oder 4 konfrontiert ist, mit ähnlich schlechter Prognose.

Die Klassifikation von Salter-Thompson unterscheidet nur zwei Klassen, Klasse A (günstig) und Klasse B (ungünstig) in Abhängigkeit vom Ausmaß der subchondralen Fraktur. Interessanterweise entspricht Klasse A etwa den Catterall-Gruppen 1 und 2 und Klasse B den Gruppen 3 und 4. So besteht Übereinstimmung in der Einschätzung der Hochrisikofälle. Herring unterteilt in drei Gruppen, abhängig von der Beteiligung des seitlichen Anteils der Femurkopfepiphyse (des sog. „lateral pillar“). Dieser seitliche Anteil soll als abstützende Säule für die restliche Epiphyse dienen. Eine Höhenminderung dieser Säule bedeutet eine schlechtere Prognose. Die Wahrscheinlichkeit einer Abflachung der ist Gesamtepiphyse größer und damit das Risiko einer bleibenden Hüftkopfdeformierung.

Von Catterall wurden 1982 zusätzlich Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf beschrieben, sog. „head-at-risk“-Zeichen:

  1. Gage Zeichen – Aufhellung an der lateralen Epiphyse und der benachbarten Metaphyse in Form eines liegenden „V“, gelegentlich nach ventral auf Lauenstein-Aufnahme
  2. Kalzifikation seitlich der Epiphyse
  3. Diffuse metaphysäre Reaktion – entweder in Sinne einer fugennahen bandförmigen Aufhellung oder einer metaphysären Zystenbildung
  4. Laterale Subluxation
  5. Horizontale Wachstumsfuge

Die laterale Subluxation (Punkt 4) dürfte das wichtigste von diesen Zeichen sein. Der Begriff  ist aber unglücklich, weil die Subluxation beim Morbus Perthes nie in einer Luxation mündet (anders als bei der infantilen Cerebralparese). Es ist besser von Lateralisierung oder Extrusion zu sprechen bzw. die Kopfdezentrierung durch Bestimmung des Acetabulum-Kopf-Index quantitativ zu erfassen.

Wie o. a. liegt der Nachteil der involvement Klassifikation nach Catterall (inkl. „head-at-risk“-Zeichen) und auch der lateral pillar Klassifikation von Herring in der späten Anwendbarkeit, wenn also die Erkrankung weit vorangeschritten ist und bei Verschlechterung des Containments eine Behandlung schwieriger wird.

Was ist unter Containment zu verstehen? Gemeint ist die normale Position (Zentrierung) eines normalen Hüftkopfes in einer normalen Pfanne. Jegliche Veränderung der Form der Gelenkpartner und ihrer Stellung zueinander kann zu einer Verschlechterung der Gelenkfunktion und auf Dauer zu einem Verschleißleiden führen.

Da der M. Perthes meist nur eine Hüfte betrifft, dient die Gegenseite als Vorbild für normale Verhältnisse.

Kriterien einer Containment-Verschlechterung sind auf dem a.p. Röntgenbild die Lateralisierung des Hüftkopfes in Bezug zum Pfannenerker (extrusion), und die Vergrößerung des Abstandes zum Pfannengrund (increase of the inferomedial joint space, Waldenström’s distance).

Das Vollbild eines Containment-Verlustes wurde von Catterall, 1982, an Hand eines Obduktionsbefundes vor Augen geführt (Abb. 4).

Zur Vermeidung ist ein frühzeitiges Eingreifen ist erforderlich.

Bedacht werden muß, dass der Entscheidungsprozess in der Familie Zeit braucht und bis zum OP-Termin noch einmal Wochen vergehen können – insgesamt ab Bildgebung 3 – 4 Monate. Dies bedeutet, daß in vielen Fällen schon bei der Diagnose über eine Containment-OP (s. u. Therapie) gesprochen werden sollte.

Abb. 4: Präparatephotographie aus der Mitte der Hüftgelenke von einem an einem Lymphom verstorbenen 9 1/2jährigen Patienten, der wegen seines linksseitigen M. Perthes nicht behandelt worden war (Catterall, 1982, 1982a). Abdruck mit Erlaubnis des Autors und des J Bone Joint Surg Br.

Vollbild eines Containmentverlustes:

  • Erhebliche knorpelig-knöcherne Deformierung des vergrößerten und (nicht nur präparationsbedingt) lateralisierten li. Hüftkopfes mit
  • Abplattung und lateraler Eindellung der Epiphyse durch Pfannenerker und Labrum
  • Anhebung des hypertrophierten und gestauchten Labrums über die Horizontale
  • Bildung eines Wulstes (bump) seitlich der Eindellung
  • Deutliche Schenkelhalsverbreiterung

Die eingezeichneten weißen Balken markieren den Größenunterschied im sog. Maximalen Durchmesser: links 34 % > rechts. Tolerabler Grenzwert nach unserer Erfahrung 10 % (- 15 % ?).

Die genaue Wiedergabe von Knochen und Weichteilen entspricht exakt aktueller coronarer MRT-Bildgebung, cf. nebenstehend Abb. 5.

Abb. 5: Dieses coronare MRT-Bild zeigt einen erkrankten linken Hüftkopf im Frühstadium ohne Deformierung. Spongiosa (Schwammknochen) und Fettmark der Epiphyse sind in dieser mittleren Schicht zwar zu großen Teilen abgestorben (dunkel), aber der hier gut zu erkennende Kopfknorpel ist nicht eingedellt, und das Labrum ist nicht nach oben verdrängt, sondern gut übergreifend. Das Containment ist perfekt.

Der M. Perthes geht immer mit einer Hüftkopfvergrößerung einher – schon von Calvé beschrieben

Bestimmung der Hüftkopfvergrößerung in der MRT

Abb. 6: M. Perthes links. MRT in T1-Wichtung, mittlere Schicht

Hüftkopfdurchmesser li. 42,66 mm, re. 38,17 mm. Die Differenz von 4,49 mm entspricht einer Vergrößerung von 11,8 %, die hier bei exzellenter Compliance für Entlastung gut toleriert wird: Kopf nahezu sphärisch, Containment perfekt. Die konservative Behandlung konnte bis ins Heilungsstadium fortgesetzt werden.

Metaphysäre Reaktion im frühen Verlauf – „head-at-risk“-Zeichen von Catterall

Abb. 7: M. Perthes links. MRT in T1-Wichtung, vordere Schicht

Stadium Ib/IIa mit sog. „metaphysärer Beteiligung“ – Risikozeichen für einen ungünstigen Verlauf. Durch zu hohe körperliche Aktivität bildet sich Ödem in der Epiphyse, das durch die Fuge hindurch in die Metaphyse gepresst wird, oft mit Ausbildung einer Zyste. Das Flüssigkeitssignal ist in T1-Wichtung dunkel, passend zum dunklen Signal des Urins in der Blase. Der abgestorbene Knochenbezirk in der Epiphyse ist allerdings ebenfalls dunkel, weil das Fettmark degeneriert. Normales Fettmark stellt sich hell dar (Gegenseite). Bei Schonung (unloading) können sich die Veränderungen zurückbilden, so dass die Fuge keinen Schaden nimmt.

Beinlängendifferenz

Wenn das vom M. Perthes betroffene Bein länger geschont wird, entwickelt sich eine Verschmächtigung der Muskulatur. Dann bleibt das Bein auch etwas im Wachstum zurück. Dies wird bei voller Belastung im Laufe der Zeit wieder ausgeglichen.
Unabhängig davon kann ganz am Anfang der Erkrankung eine Beinverkürzung durch Schädigung der Wachstumszone im Epiphysendom  und später durch Schädigung der eigentlichen Wachstumsfuge im Hüftkopf entstehen, letzteres wahrscheinlich infolge von Durchpressen von Ödemflüssigkeit. Wenn die Beinverkürzung im Verlauf kleiner als 1 cm ist, braucht man sie nicht ausgleichen. Wenn sie größer ist, kann eine Einlagenversorgung erwogen werden.
Es ist bekannt, dass das Ausmaß der Beinverkürzung vom Schweregrad der Erkrankung abhängt. Nach der Literatur beträgt sie durchschnittlich 2,5 Zentimeter (Grzegorzewski, Synder et al., 2005).